Die 1970er und 1980er Jahre: Familien, Schulen, Restaurants als Streitpunkte

Mitte bis Ende der 1970er wie auch in den 1980er Jahren kam es in Westdeutschland und Griechenland zu weiteren Protestbewegungen. Die Frauenbewegung und die Schwulenbewegung, die um 1968 in Westdeutschland und Mitte der 1970er Jahre auch in Griechenland entstanden waren, waren weiterhin aktiv. Feministinnen politisierten Themen, die als „persönlich“ angesehen wurden, und befassten sich in diesen beiden Ländern insbesondere mit der Selbstbestimmung von Frauen, Abtreibungen vornehmen zu lassen, sowie mit den Vergewaltigungen, die zahlreiche Frauen erleben mussten.

Mitte bis Ende der 1970er Jahre begannen auch westdeutsche staatliche Institutionen, die Integration von Migrant:innen ernster zu nehmen. Diese Entwicklung bedeutete eine Veränderung gegenüber demjenigen, was die Migrationsbürokratie in den vergangenen Jahren behauptete hatte, wenn davon die Rede gewesen war, dass Arbeitsmigrant:innen „Gäste“ und „Ausländer“ in der westdeutschen Gesellschaft seien. Verschiedene Integrationsvorschläge wurden entwickelt, die allerdings häufig bevormundend waren und zudem gepaart mit kulturell rassistischen Wahrnehmungen: etwa von Migrant:innen, die Ghettos bilden würden (Reinecke 2021) oder von Migrant:innenfamilien, die sich nicht leicht an die Realitäten Westdeutschlands anpassen könnten (Stokes, 2022). Die flexible „Wartezeit“, die das Arbeitsministerium 1979 einführte, veranschaulicht die letztgenannte Perspektive. Migrantische Jugendliche mussten zwei Jahre lang auf den Zugang zum Arbeitsmarkt warten, es sei denn, sie ergriffen Maßnahmen, wie z.B. den Besuch von beruflichen Fortbildungskursen (die sogenannte flexible Wartezeit). Das Ministerium argumentierte, dass diese Maßnahme migrantischen Jugendlichen bei der Integration helfe (Stokes, 2022). In der Zwischenzeit reformierte die Bundesregierung 1974 die Bereitstellung von Kindergeldern für Arbeitsmigrant:innen dahingehend, dass Kindern, die nicht in Westdeutschland lebten, reduzierte Beträge gezahlt wurden. Auf diese Weise arbeitete die westdeutsche Regierung der Aufrechterhaltung transnationaler Familien entgegen (Stokes, 2022). Die christdemokratischen Parteien, die die Regierung von 1982 bis 1998 führten, waren der festen Überzeugung, dass Westdeutschland „kein Einwanderungsland“ sei (Wiliarty, 2021), und zeigten daher kein großes Interesse an den Integrationsbemühungen von Migrant:innen auf Bundesebene.

Es gab zu dieser Zeit allerdings auch griechische Migrant:innen in Westdeutschland, deren Lebensumstände sich änderten. Neben denjenigen, die weiterhin als Arbeiter:innen tätig waren, begann eine wachsende Zahl, ihr eigenes Geschäft zu führen, in der Regel ein Restaurant (Möhring, 2012).

Im Lauf der 1970er Jahre wirkten sich die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in Griechenland auch auf die Lage der griechischen Migrant:innen aus. Im Jahr 1974 brach die Diktatur in Griechenland zusammen, es folgte eine stabile Demokratie. Parteien wie die Kommunistische Partei Griechenlands wurden 1974 zugelassen. Seit den 1960er Jahren hatte sich auch die Lage der griechischen Wirtschaft verbessert. Da Griech:innen nun auch in Griechenland eine Arbeit finden konnten und zudem keine Angst mehr haben mussten, ihre politischen Ansichten in der Öffentlichkeit zu äußern, emigrierten einige der griechischen Migrant:innen Westdeutschlands ihrerseits nach Griechenland. Insgesamt sank die Zahl der Griech:innen in Westdeutschland von 407.614 im Jahr 1973 auf 274.973 im Jahr 1988 (Quelle: Statistisches Bundesamt, Deutschland).

Die Einschränkungen für Migrant:innenfamilien auf der einen und die Verbesserung des sozialen Status zumindest eines Teils der griechischen Migrant:innen auf der anderen Seite führten zu einer Veränderung des Fokus ihrer Forderungen. Obwohl es weiterhin zu Fabrikstreiks und Hausbesetzungen kam, konzentrierten sich die Migrant:innengemeinschaften zunehmend auf die Bedingungen von Migrant:innenfamilien. Ein wichtiges Thema für die Proteste der Migrant:innen, insbesondere in den Jahren 1974-1981, war es, nationale Schulen einzurichten und zu erhalten, in denen die Kinder von Migrant:innen auf Griechisch unterrichtet werden konnten. Griechische Gemeinden, darunter auch der OEK protestierten für diese griechische Schulen und traten sogar in Hungerstreik. Der OEK setzte sich bei unterschiedlichen Institutionen für die Förderung dieser Schulen ein. Derartige Proteste bedeuteten aber nicht unbedingt das Ende der Zusammenarbeit zwischen griechischen Migrant:innen, anderen Migrant:innen und deutschen Aktivist:innen, die in den vorangegangen Jahren immer intensiver geworden war. Für die Einrichtung zweisprachiger Schulen, in denen griechische und deutsche Lehrer:innen zusammenarbeiten würden, setzen sich griechische und westdeutsche Gewerkschaften, darunter der DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund), gleichermaßen ein (Adamopoulou, 2022).

In der Zwischenzeit nahm der OEK Kontakt zum DGB auf, um sich gemeinsam für die Rechte griechischer Migrantinnen in Westdeutschland einzusetzen. Die entsprechenden Initiativen der OEK standen nicht im Zusammenhang mit feministischen Bewegungen, die in dieser Zeit in Westdeutschland und in Griechenland aktiv waren, und berührten keine Fragen der Sexualität.

Zeitgleich zeigten sich unter den griechischen MigrantInnen auch weniger öffentlich sichtbare Formen der Infragestellung von Behörden. Vor allem die wachsende Zahl nicht-deutscher Restaurantbesitzer war mit einem feindseligen politischen und wirtschaftliches Umfeld konfrontiert. Sie nutzten alle ihnen zur Verfügung stehenden legalen Möglichkeiten, griffen aber auch auf illegale Aktivitäten zurück, etwa indem sie einen westdeutschen Strohmann als nominellen Eigentümer ihres Unternehmens installierten (Möhring 2014). Obwohl sie in diesem Fall nicht offen protestierten, widersetzten sie sich doch den Einschränkungen, die ihnen die westdeutschen staatlichen Institutionen und die Gesellschaft auferlegten.

Materialien

14: Broschüre (Deckblatt) über die Probleme der griechischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland. Mit freundlicher Genehmigung der OEK.

15: OEK, Frauenausschuss: Broschüre (Deckblatt) über griechische Migrantinnen und die Gewerkschaften. Mit freundlicher Genehmigung der OEK.

16: Treffen der OEK über griechische Migrantinnen. Mit freundlicher Genehmigung der OEK.

17: Ostermarsch, 1987. Beteiligung einer griechischen Gemeinschaft. Mit freundlicher Genehmigung des OEK.

18: Multinationaler Marsch am 1. Mai. Mit freundlicher Genehmigung der OEK.

19: Ankündigungen der OEK nach ihrem 7. Kongress im Jahr 1980. Mit freundlicher Genehmigung der OEK.

Genannte Themen:

  • das „Bedürfnis nach Einheit“ unter den griechischen Migrant:innen,
  • das Wahlrecht für griechische Migrant:innen in Westdeutschland,
  • Kindergeld und Migrant:innen,
  • Fragen der Migrant:innenjugend.