In den 1950er Jahren wurden in Westdeutschland immer mehr Arbeitskräfte benötigt, um die Nachfrage der Arbeitgeber – entsprechend dem damaligen Boom der westdeutschen Wirtschaft – zu befriedigen. Der westdeutsche Staat befürwortete zu dieser Zeit nicht, dass deutsche Frauen in das Erwerbsleben eintraten (Stokes, 2022). Entsprechend waren andere Quellen für Arbeitskräfte gefragt. In diesem Zeitrahm nahmen die Regierungen Italiens, Spaniens, Griechenlands und der Türkei Verhandlungen mit Westdeutschland auf, um zumindest einen Teil ihrer Migration zu regulieren (Steinert, 2014). In diesem Zusammenhang unterzeichnete Westdeutschland dann ab Mitte der 1950er Jahre mehrere Abkommen mit südeuropäischen Ländern. Diese Abkommen erleichterten und standardisierten den Zustrom von Arbeitsmigrant:innen aus diesen Ländern nach Westdeutschland. Dazu gehörten Abkommen mit Italien (1955), Griechenland (1960), Spanien (1960), der Türkei (1961) und dem damaligen Jugoslawien (1968). Gemäß den Vereinbarungen waren diese Arbeiter „Gäste“ und sollten nur in Westdeutschland bleiben, solange sie einer Arbeit nachgingen. Sobald sie aufhörten zu arbeiten, hatten sie das Land zu verlassen.
Die Zahl der Migrant:innen, die aus Südeuropa nach Westdeutschland kamen, stieg schnell und in erheblichem Maße an. Zwischen 1961 und 1973 erhöhte sich die Zahl der Griech:innen in Westdeutschland von 42.000 auf 408.000 (Möhring, 2012). Die griechischen Migrant:innen waren in der Regel jung; es handelte sich sowohl um Männer als auch um Frauen. Die Arbeitsbedingungen der griechischen Migrantinnen waren allerdings schlechter als die ihrer männlichen Landsleute. Die Frauen wurden oft in Arbeitsbereichen eingesetzt, die angeblich geringere Qualifikationen erforderten, und entsprechend niedriger waren ihre Gehälter. Zudem mussten weibliche und männliche Migrant:innen, auch wenn es sich um Ehepartner handelte, oft in verschiedenen Wohnheimen leben.
Der westdeutsche Staat blickte misstrauisch auf eine potentielle politische Beteiligung von Migrant:innen. Diese Haltung wurde im 1965 verabschiedeten Ausländergesetz (Schönwälder, 2001) deutlich. Das Gesetz verbot politische Aktivitäten von Migrant:innen, wenn diese als nicht vereinbar mit den Vorstellungen des westdeutschen Staates von „Freiheit“ und „Demokratie“ angesehen wurden. Wenn die Aktivitäten von Migrant:innen als die Grenzen der Legalität überschreitend angesehen wurden, mussten die Aktivist:innen mit Sanktionen und sogar Abschiebung rechnen. Und dennoch waren Migrant:innen aus Südeuropa, die in Westdeutschland lebten, politisch keineswegs „passiv“. In den 1960er Jahren beteiligten sich einige an „wilden“ oder auch „Bummelstreiks“ (Goeke, 2020). In der Zwischenzeit waren viele der griechischen Migrant:innen Mitglieder oder Sympathisierende griechischer linker Organisationen geworden, insbesondere der EDA (Eniaia Dimokratiki Aristera, Vereinigte Demokratische Linke). Die EDA in Westdeutschland war bei der Anwerbung griechischer Migrant:innen im Vergleich zu anderen EDA-Niederlassungen Westeuropas sehr erfolgreich. Junge EDA-Mitglieder nahmen Anfang bis Mitte der 1960er Jahre an den Ostermärschen teil (Papadogiannis, 2014). Griechische Arbeitsmigrant:innen beteiligten sich neben anderen Migrant:innen auch an den aufkommenden Protesten gegen die Bedingungen in ihren Unterkünften, wie etwa die nach Geschlechtern getrennte Unterbringung (Goeke, 2020). 1966 wurde die OEK (Omospondia Ellinikon Koinotiton, Verband griechischer Gemeinden in Deutschland) gegründet, der sich mit den sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen befasste, mit denen griechische Migrant:innen in Westdeutschland konfrontiert waren.
Materialien
1: Fotoausstellung der EDA über das Leben griechischer Migrant:innen. Mit freundlicher Genehmigung von Lefteris Xanthos und dem ASKI (Archiv für zeitgenössische Sozialgeschichte, Athen). Foto mit dem Titel „in den Fabriken Deutschlands“ von Simos Ioannidis, das im Rahmen eines von der EDA veranstalteten Wettbewerbs mit dem zweiten Preis ausgezeichnet wurde.
2 (1-7): Dokument zu den Beschlüssen des ersten Kongresses des OEK im Jahr 1966. Mit freundlicher Genehmigung des OEK. Die wichtigsten Themen des Textes sind:
- Revision des Abkommens zwischen Westdeutschland und Griechenland über die Anwerbung griechischer Arbeitsmigrant:innen,
- Ausbildung von Kindern griechischer Herkunft, die in Westdeutschland leben,
- familiäre Probleme, mit denen griechische Migrant:innen in Westdeutschland konfrontiert waren,
- Probleme, mit denen griechische Migrant:innen am Arbeitsplatz konfrontiert waren,
- Einbindung griechischer Migrant:innen in westdeutsche Gewerkschaften.